- Suahelikultur \(12. bis 19. Jahrhundert\): Ostafrika zwischen den Kulturen
- Suahelikultur (12. bis 19. Jahrhundert): Ostafrika zwischen den KulturenDank der stetigen und leichten Winde des Nordostmonsuns ist die ostafrikanische Küste zwischen November und Februar von Arabien aus in etwa 30 bis 40 Tagen mit Segelschiffen zu erreichen. In umgekehrter Richtung gelangt man von April bis September mithilfe des Südwestmonsuns in den persisch-arabischen Golf und nach Indien. Kenntnis und Nutzung dieser natürlichen Gegebenheiten ermöglichten vor mehr als 2000 Jahren die Aufnahme von Wirtschafts- und Kulturbeziehungen im Großraum des Indischen Ozeans, in die nach und nach die afrikanische Ostküste und die ihr vorgelagerten Inseln zwischen Mogadischu (Somalia) und Sofala (Moçambique) einbezogen wurden.Von den — auf insgesamt 170 geschätzten — ostafrikanischen Küstensiedlungen, die zwischen dem 9. und 20. Jahrhundert gegründet worden sind, entstanden mehr als 100 zwischen dem 12. und 15. Jahrhundert, dem goldenen Zeitalter der Suahelikultur. Die Bezeichnung »Suaheli« oder »Swahili« kommt von arabisch sawahil, dem Plural von sahel »Küste«. Die Küstenlage und das Zusammenwirken der damit verbundenen geographischen, wirtschaftlichen und religiösen Faktoren verliehen der Suahelikultur auch tatsächlich ihre spezifische Prägung.Ein breites trockenes Hochplateau, das sich unmittelbar hinter dem schmalen fruchtbaren Küstenstreifen von Somalia über Kenia bis nach Tansania ausdehnt, trennt die Küste vom ostafrikanischen Binnenland. Aufgrund dieser natürlichen Barriere — in Kisuaheli, der Sprache der Suaheli, nyika (Wildnis) genannt — haben bis zum späten 16. Jahrhundert kaum Kontakte zwischen beiden Regionen bestanden. Mehr noch: Das Fehlen eines Hinterlandes begünstigte wahrscheinlich auch die frühe Besiedlung der vorgelagerten Inseln und die maritime Orientierung der waswahili, der Küstenbewohner. Diese Annahme wird unter anderem durch das vorläufig früheste archäologische Zeugnis der Suahelikultur gestützt, die 1966 ausgegrabene und dem 9. Jahrhundert unserer Zeit zugeordnete Siedlung Manda auf der gleichnamigen Insel des Lamu-Archipels.Aufstieg und Blüte der Suahelikultur (12.—15. Jahrhundert)Wirtschaftliche und kulturelle Triebkraft für die historische Entwicklung der ostafrikanischen Küste war der Fernhandel im Indischen Ozean. Seit der Mitte des 8. Jahrhunderts erlebte er unter den Abbasidenkalifen von Bagdad einen Aufschwung, in dessen Verlauf sich die Beziehungen zwischen Ostafrika und dem persisch-arabischen Golf intensivierten. Nach dem Niedergang des Kalifats, der schließlich durch die mongolische Invasion besiegelt werden sollte (Zerstörung Bagdads 1258), und dem Aufstieg Ägyptens, das sich seit dem Ende des 10. Jahrhunderts zur führenden Wirtschaftsmacht im Vorderen Orient entwickelte, orientierten sich auch die ostafrikanischen Küstenstädte zunehmend nach Süd- und Südwestarabien. Als sich unter den in Ägypten und Syrien regierenden Mamelucken ab der Mitte des 13. Jahrhunderts die muslimische Dominanz im Indischen Ozean erneut festigte, waren Mogadischu, Malindi, Mombasa und Kilwa bereits als bedeutende Handelszentren bekannt, die Gold, Elfenbein, Ambra (zur Parfümherstellung verwendete Ausscheidung des Pottwals), Bienenwachs, Kopal (Baumharz zur Lackherstellung) und Mangrovenholz exportierten.Anschluss an die universelle Zivilisation des IslamIm Zuge der Handelskontakte und der politischen Machtverschiebungen vermischte sich die ansässige afrikanische Küstenbevölkerung mit persischen, arabischen, später auch indischen Händlern und Einwanderern und bildete eine eigenständige, homogene Kultur aus. Diese spiegelte nicht nur den kosmopolitischen Charakter der Küstenbewohner wider, sondern verlieh auch den Bedürfnissen einer durch den Handel prosperierenden städtischen Bevölkerung Ausdruck. Der Verständigung diente an der gesamten Küste das Kisuaheli, eine mit zahlreichen arabischen Lehnworten durchsetzte Bantusprache, die unter Verwendung des arabischen Alphabets verschriftlicht wurde. Mit dem Bekenntnis zum Islam und der Übernahme muslimischer Lebensart schlossen sich die Küstenbewohner einer universellen Zivilisation an, deren hoher wissenschaftlicher und technologischer Entwicklungsstand zwischen dem 10. und 15. Jahrhundert unübertroffen war.Der afrikanische Anteil an der Suahelikultur ist bis heute Gegenstand wissenschaftlicher Kontroversen. Lange Zeit hat die Geschichtsforschung deren Ursprünge den Fremden — Arabern und Persern — zugesprochen und Afrikaner lediglich als passives Element betrachtet, dessen Einfluss sich allenfalls in der Dekadenz der von außen gebrachten Hochkultur bemerkbar gemacht habe. Neuere Forschungen, die sich mehr für die durch den Fernhandel entstandenen Mischkulturen interessieren, haben diese »biologische« Betrachtungsweise, die auch hinsichtlich anderer Regionen Afrikas angewendet worden ist, inzwischen in den Hintergrund treten lassen. Die historische Abstammung der »Muslime gemischten Blutes«, wie der arabische Geograph Idrisi die Suaheli im 12. Jahrhundert bezeichnete, bleibt dabei bis heute umstritten. Einschätzungen variieren zwischen 25 bis 50 Prozent arabischsprachigen Migranten aus dem Mittleren Osten.Die Suaheli selbst haben der Verwirrung gewissermaßen Vorschub geleistet, insofern sich vor allem die führenden Familien der Stadtstaaten allgemein auf ihre persische oder arabische Abstammung beriefen, was vor allem der Steigerung ihres Prestiges diente. Darüber hinaus führen auch die häufig erst später erstellten Chroniken oft externe Stadtgründer auf, bezeichneten zum Beispiel jemenitische Übersiedler als Gründer Mogadischus im 9. und persische Kaufleute als Stadtväter Kilwas im 10. Jahrhundert. Es ist anzunehmen, dass die lokale Aristokratie muslimische Kaufleute aus Hadramaut (Jemen) und Schiras (Persien) als Konkurrenten um die Macht betrachtete und danach strebte, sie durch Einheirat zu integrieren, um selbst in den Genuss von Handelsvorteilen zu kommen und den eigenen politischen Einfluss abzusichern. Dabei wurden jedoch auch unter islamischem Einfluss afrikanische Nachfolgeregelungen, die sich nach dem Verwandtschaftsgrad und dem Prinzip der Altersklassen richteten, weitgehend aufrechterhalten.In diesem Prozess bildete sich eine kleine, wohlhabende, mehr oder weniger gemischte politische Führungsschicht heraus, die ihren Reichtum in prachtvollen mehrstöckigen, aus behauenen Korallensteinen gebauten Häusern mit kunstvoll geschnitzten Holztüren und in die Außenwände eingelassenen chinesischen und persischen Porzellantellern und -vasen zur Schau stellte. Während archäologische Untersuchungen immer wieder Spuren dieses hohen Lebensstandards zutage fördern, sind die von der Mehrheit der Bevölkerung in den städtischen Vierteln oder im Hinterland bewohnten palmblatt- oder strohgedeckten Lehmhäuser längst verschwunden. Als Freie gingen sie der Landwirtschaft, einem Handwerk — vor allem der Eisenverarbeitung —, dem Fischfang oder dem Binnenhandel nach. Sklaven wurden vermutlich für die Feldbestellung (Hirse und Reis) eingesetzt, wie aus einem portugiesischen Bericht über Kilwa aus dem frühen 16. Jahrhundert hervorgeht.KilwaMit der Kontrolle über Sofala, den Umschlagplatz für Gold aus Simbabwe, den die Sultane von Kilwa der Handelsrivalin Mogadischu Anfang 1300 abgejagt hatten, begann der spektakuläre Aufstieg von Kilwa, Hauptort der Koralleninsel Kilwa Kisiwani, zur wohlhabendsten und von ihren Bauwerken her wohl beeindruckendsten ostafrikanischen Küstenmetropole. Hier wurde während des gesamten 14. Jahrhunderts das Gros des Handels abgewickelt, und zwar in erster Linie der Export von Gold und Elfenbein nach Arabien, Indien und China, aber auch der Import indischer, ägyptischer und somalischer Baumwollstoffe, die man zum Teil nach Sofala weiterhandelte. Als Zahlungsmittel waren wie überall an der Küste zunächst Kaurimuscheln, Glasperlen und chinesisches Porzellan in Umlauf, seit Ende des 12. Jahrhunderts aber auch Silber- und Bronzemünzen aus eigener Prägung.Den marokkanischen Weltreisenden Ibn Battuta, der Kilwa 1331/32 besuchte, beeindruckten Frömmigkeit und Gerechtigkeitssinn der Bevölkerung und der für die Rechtsprechung zuständigen Kadis (muslimische Richter). Ausdruck des Glaubens und gleichzeitig »Dokument« des florierenden Handels war die aus Korallensteinen errichtete Große Moschee, ein riesiger Kuppelbau mit Tonnengewölben, der in der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts fertig gestellt wurde.Ihr weltliches Pendant, die in das frühe 14. Jahrhundert datierte Große Festung (husuni kubwa), umfasste mehr als 100 Räume. Sie gilt als bedeutendster Palastbau in Ostafrika und als größtes Gebäude des subsaharischen Afrika überhaupt. Sie diente den Sultanen als luxuriös ausgestattete und mit einem achteckigen Schwimmbassin versehene Residenz, beherbergte aber auch geräumige Warenlager und ein Handelskontor.Archäologische Grabungen lassen auf eine insgesamt rege Bautätigkeit und einen hohen Grad der Verstädterung in Kilwa schließen, das um 1500 etwa 10000 Einwohner zählte. Dennoch war zu diesem Zeitpunkt der Zenit bereits überschritten, hatte die durch interne Regierungskrisen geschwächte Metropole ihre Vormachtstellung zunehmend an die aufstrebenden Handelskonkurrentinnen Sansibar, Mombasa und Malindi verloren.Vasco da Gama und die Folgen (1500—1729)Auf der Suche nach dem Seeweg nach Indien berührte die Flotte Vasco da Gamas — nach Umrundung der Südspitze Afrikas, des Kaps der Guten Hoffnung — im Januar 1498 an der Mündung des Kilimane (Moçambique) erstmals die südlichen Ausläufer der Suaheliküste. Die portugiesische Expedition hatte drei Ziele: das muslimische Gewürzhandelsmonopol im Indischen Ozean zu brechen, den Islam zu bekämpfen — die Vertreibung der Muslime aus Europa durch Spanien lag erst fünf Jahre zurück — und sich direkten Zugang zu den ostafrikanischen Goldmärkten zu verschaffen.Die Seefahrer waren den Suahelistädten allerdings alles andere als willkommen. Lediglich Malindi bereitete den Portugiesen einen guten Empfang — wahrscheinlich in der Absicht, Verbündete gegen die Erzrivalin Mombasa zu gewinnen — und stellte ihnen den berühmten arabischen Steuermann Ahmed ibn Madjid zur Seite, der sie noch im selben Jahr nach Calicut an der westindischen Küste geleitete.Wendige Segelschiffe und FeuerwaffenDurch wendige Segelschiffe und Feuerwaffen überlegen, eroberten die Eindringlinge strategisch wichtige Punkte im Persischen Golf (Hormus, Maskat) und im Golf von Aden (Insel Sokotra) und erschwerten fortan — indem sie allen nicht portugiesischen Schiffen Handelslizenzen und Zölle aufzwangen — den afrikanisch-arabischen Seehandel, brachten ihn indes nicht völlig zum Erliegen. Sie überzogen die ostafrikanische Küste mit einer Serie von »Vergeltungsschlägen« gegen all diejenigen, die sich weigerten, sie mit Proviant zu versorgen und Tribute zu entrichten. Mit der Zerstörung von Kilwa (1505) und Mombasa (1505, 1528) nahm eine mehr als zweihundertjährige Periode militärischer Auseinandersetzungen, Plünderungen und Verwüstungen ihren Anfang, von denen letztlich nur das mit den Portugiesen verbündete Malindi und die außerhalb ihrer Interessenzone liegende Stadt Mogadischu verschont blieben.Mit Ausnahme des »Goldlandes« Monomotapa im heutigen Moçambique, bis 1975 in portugiesischem Besitz, strebte Portugal keine Kolonisierung der ostafrikanischen Küste an, sondern beschränkte sich auf die Abschöpfung ihrer Reichtümer sowie auf die Errichtung von Handelsniederlassungen, Verwaltungsposten und militärischen Stützpunkten zur Absicherung des Seewegs nach Indien, wo seit 1510 in Goa der portugiesische Vizekönig residierte. So sehr dies die Suahelistädte einerseits in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung zurückwarf und sich darüber hinaus die Gräben zwischen ihnen durch die portugiesische Taktik des Gegeneinanderausspielens vertieften, so haben sie sich andererseits ihre innerstädtische Organisation, Kultur und Religion weitgehend bewahren können. Die Küstenbewohner traten bis auf wenige Ausnahmen weder zum Christentum über noch ließen sie die Handelsverbindungen mit Arabien und Indien abreißen. Sie verlegten sich vielmehr auf andere Produkte oder lenkten den Seeverkehr über Mogadischu oder die Komoren um.Gleichzeitig verstärkten sie ihre Bemühungen um eine Allianz mit dem Osmanischen Reich, das 1517 die Mamelucken als muslimische Hegemonialmacht abgelöst und den Kampf gegen die Portugiesen im persisch-arabischen Golf aufgenommen hatte. In Reaktion auf zwei — gescheiterte — Angriffe der türkischen Flotte unter Mir Ali Bei (Lamu 1585, Mombasa 1588/89) errichteten die Portugiesen in Mombasa 1593/94 das Bollwerk Fort Jesus und machten sich Mombasa vorerst gefügig, indem sie den ihnen verbündeten Sultan von Malindi auch zum Herrscher von Mombasa einsetzten.Der Niedergang der Suahelistadtstaaten darf jedoch nicht ausschließlich der portugiesischen Besatzung zugeschrieben werden. Erstmals gegen Ende des 16. Jahrhunderts kam es, wahrscheinlich infolge einer längeren Trockenperiode, zu größeren Bevölkerungsbewegungen aus dem Landesinneren in Richtung Küste. So überzogen die von Süden her vordringenden Zimba 1588 Kilwa und 1589 Mombasa mit Massakern und Plünderungen. Von Norden her drängten die Oromo die Küstenbevölkerung sukzessive nach Süden ab, sodass im Verlauf des 17. Jahrhunderts unter anderem in Pemba und Mombasa die Bevölkerung stark zunahm sowie überall eine Vielzahl neuer Siedlungen entstand, eine historisch noch kaum untersuchte Entwicklung, in deren Folge sich unter anderem die Versorgungslage der Suahelistädte stark verschlechterte.Die Vertreibung der PortugiesenDas Erscheinen von Niederländern und Engländern im Verlauf des 17. Jahrhunderts beendete nicht nur die Hegemonie der Portugiesen im Indischen Ozean (Malabarküste, Sri Lanka, Indonesien), sondern leitete auch deren Machtverlust an der Suaheliküste ein. Mit englischer Unterstützung vertrieb der Schah von Persien 1622 die Portugiesen aus Hormus und warf sie somit auf Maskat zurück, den von ihnen zum arabischen Gegenstück Mombasas ausgebauten Stützpunkt. Damit aber erwuchs ihnen in der Jarubidynastie von Oman eine entschlossene Gegnerin, die sie nicht nur zur Aufgabe Maskats (1650) zwang und durch zahlreiche Seegefechte zermürbte, sondern auch den Widerstand der Suaheli unterstützte, dessen neues Zentrum die aufstrebende Insel Pate des Lamu-Archipels war.Streng genommen besiegelte bereits im Dezember 1698 der Fall des zweieinhalb Jahre durch die vereinten Kräfte Lamus und Omans belagerten Fort Jesus das Ende der portugiesischen Besatzung an der Suaheliküste. 1728 gelang den Portugiesen ein kurzes Comeback, als die über die rüde Behandlung seitens der Omani, ihrer neuen Besatzungsmacht, aufgebrachten Suahelihändler und Notabeln von Mombasa und Pate sie um Beistand baten — ein Schritt, den sie angesichts erneuter portugiesischer Pressionen jedoch schnell bereuten. So erzwangen schließlich die Suahelistädte Pate, Mombasa, Sansibar, Pemba und Mafia selbst, mit afrikanischer Unterstützung aus dem Hinterland, bis November 1729 den vollständigen Abzug der Portugiesen beziehungsweise deren Rückzug nach Moçambique.Der Aufstieg der Busaididynastie von Oman (18. Jahrhundert)Während wir, mangels Quellen, für die Zeit vor dem 18. Jahrhundert keine genaue Kenntnis über Umfang und Bedeutung des Sklavenhandels in den Stadtstaaten der Suaheli haben, so wirkte seine Ausweitung spätestens ab den 1770er-Jahren als Motor ihrer wirtschaftlichen Wiederbelebung.Über die nördliche Route exportierten zwischen 1700 und 1815 hauptsächlich omanische Sklavenhändler etwa 2250 Menschen pro Jahr. Bestimmungsziele waren der Jemen, Oman, Persien, der (türkische) Irak sowie Indien. Ostafrikanische Sklaven wurden in der Land- und Hauswirtschaft, in der Schifffahrt und der Armee sowie zum Perlentauchen im Persischen Golf eingesetzt. Im Süden verfügte Portugal mit Moçambique über ein »eigenes Sklavenreservoir«, mit dem es den Transatlantikhandel speiste. Hauptbestimmungsziel war ab 1807/08 die portugiesische Kolonie Brasilien, in die 12000 bis 16000 ostafrikanische Sklaven pro Jahr exportiert wurden.Den entscheidenden Impuls für die Eröffnung einer weiteren südlichen Route gab Frankreich, das sich der Maskareneninseln — Île-de-France (Mauritius) und Île Bourbon (Réunion) — bemächtigt hatte und dort ab 1735 Zuckerrohrplantagen aufbaute. Zunächst von den Portugiesen mit etwa 3000 Sklaven pro Jahr aus Moçambique beliefert, winkte bald auch Kilwa mit attraktiven Angeboten: 1776 unterzeichnete der Sklavenhändler Jean-Vincent Morice einen Hundertjahresvertrag, mit dem sich die Suahelistadt verpflichtete, 1000 Sklaven pro Jahr für die französischen Maskarenen zu liefern. Versklavt wurde zunächst die Bevölkerung im Hinterland von Kilwa, dem Makondeplateau (Südtansania); ab 1780 drangen dann die ersten Suahelikarawanen zur Beschaffung von Sklaven ins Landesinnere bis zum Malawisee vor.Mit dem Direkthandel demonstrierte Kilwa sein Bestreben, sich aus der wirtschaftlichen Abhängigkeit von den Omani zu lösen, die — nach einem langen Bürgerkrieg in Oman — als neuer Machtfaktor an die Suaheliküste zurückgekehrt waren. Die »Kaufmanns«-Dynastie der Busaidi (auch: Said) hatte 1744 die Jarubidynastie in Oman gestürzt und sogleich damit begonnen, von ihrem Gouverneurssitz Sansibar aus den Überseehandel zu monopolisieren. Als passionierte »Händler und Schiffseigner« — so das Urteil von Zeitgenossen — schätzten sie die wirtschaftlichen Aussichten, die der Markt durch die europäische Nachfrage nach Sklaven und Elfenbein bot, hoch ein.Eine omanische Militärexpedition beendete den Alleingang Kilwas, das 1785 einen omanischen Gouverneur und hohe Tributzahlungen auferlegt bekam. Sansibar, das politische Machtzentrum der Busaidi in Ostafrika, wurde nicht nur zum bevorzugten Einwanderungsgebiet omanischer Siedler, die nach und nach die fruchtbaren Böden der Insel in ihren Besitz brachten, sondern zog im Rahmen britisch-omanischer Handelsvereinbarungen auch zunehmend indische Kaufleute und Bankiers an, die vor allem den expandierenden Elfenbeinhandel kontrollierten (Handelsroute Sansibar —Bombay —Europa). Im nördlichen Küstengebiet spitzten sich die Konflikte zu. 1746 hatte Mombasa, das seit 1735 von Abkömmlingen der omanischen Jarubidynastie regiert wurde, seine Unabhängigkeit von Oman erklärt und war bis zum Ende des 18. Jahrhunderts zur wohlhabendsten und einflussreichsten Stadt an der Küste geworden. Bis 1837 widerstand sie, nach einem kurzen Zwischenspiel als britisches Protektorat 1824 bis 1826, allen politischen und militärischen Interventionen der Busaidi. Pemba, Lamu, Pate und Brava hatten dagegen bereits bis 1822 deren Autorität anerkannt.Sansibar und die Weltwirtschaft (19. Jahrhundert)Unter Saijid (Herr) Said ibn Sultan al-Busaidi, von 1806 bis 1856 Herrscher von Oman und Sansibar, vollzog sich Sansibars spektakulärer Aufstieg zur Hauptstadt eines neuen Handelsimperiums im westlichen Indischen Ozean, das die gesamte Küste des heutigen Kenia und Tansania miteinschloss. In seine Regierungszeit fiel auch die zunehmende Ausweitung der Handelsnetze von der Küste ins ostafrikanische Binnenland bis zu den großen Seen.Der außerordentliche Geschäftssinn und das diplomatische Geschick des Sultans, der 1840 seinen Regierungssitz endgültig nach Sansibar verlegte, machten die Insel zum Hauptumschlagplatz für Elfenbein und Gewürznelken und zum Standort für Handelshäuser und Konsulate der Vereinigten Staaten (1837), Großbritanniens (1839), Frankreichs (1844) und der deutschen Hansestädte (1859).Was europäische und amerikanische Handelsinteressen nach Sansibar zog, war die seit Beginn des 19. Jahrhunderts rapide steigende Nachfrage nach tropischen Gütern, die auf die beginnende industrielle Revolution und einschneidende gesellschaftliche Umbrüche in Europa und den Vereinigten Staaten zurückzuführen war. Mit dem Bürgertum entstand eine neue kaufkräftige Schicht, deren Konsumwünsche unter anderem den Bedarf an Elfenbein — zur Herstellung von Schmuck, Kämmen, Billardkugeln und Klaviertasten — hochschnellen ließen. Gleiches galt für Gewürznelken, die als Grundstoff für Genussmittel, Kosmetika und Medikamente verwendet wurden. Neben diesen neuen Absatzmärkten spielte der alte Handelspartner Indien weiterhin eine wichtige Rolle als Hauptabnehmer von Elfenbein und zweitgrößter Importeur für Gewürznelken.Zugleich entwickelte sich Ostafrika über Sansibar zum Absatzmarkt für europäische und amerikanische Waren wie Gewehre, Schießpulver, Messingwaren und das begehrte merekani, das ungebleichte Baumwolltuch aus den Südstaaten der USA. Vom schwunghaften Handel profitierten insbesondere nordamerikanische Kaufleute, deren Exporterlöse allein zwischen 1838 und 1856 von 100000 auf 550000 Dollar stiegen.Anhand der Exportprodukte Elfenbein und Gewürznelken lassen sich auch die tief greifenden materiellen und sozialen Veränderungen aufzeigen, die die Einbindung in die Weltwirtschaft in einigen afrikanischen Gesellschaften zeitigte. So belieferten ab den 1820er-Jahren arabisch-indisch-suahelische Handelskarawanen, ausgehend von Mombasa, Bagamoyo — der Festlandsstation von Sansibar — und Kilwa, das ostafrikanische Hinterland bis zum Gebiet der großen Seen (von Uganda bis Malawi) regelmäßig mit westlichen Importgütern und wurden ihrerseits durch Binnenhändler (Yao, Nyamwesi, Kamba) mit Elfenbein und Sklaven versorgt. Diese neuen Warenströme lösten, neben der Entvölkerung ganzer Regionen, Krisen in den einheimischen Produktionszweigen (Bekleidung) oder Verteilungskämpfe um Waffen und Prestigegüter aus. Entlang der neuen Verkehrswege verbreiteten sich aber auch die Sprache und Kultur der Suaheli sowie der Islam, auf dessen Spuren zum Beispiel die um 1870 im Königreich Buganda (Uganda) eintreffenden christlichen Missionare stießen.Sklavenarbeit als Grundpfeiler der WirtschaftAn der Küste entwickelte sich ab 1830 mit der Ausweitung des Gewürznelkenanbaus auf Pemba und Sansibar die Sklavenarbeit zum Grundpfeiler der Wirtschaft. Hauptproduzent und -exporteur war der Initiator dieses neuen Produktionszweiges selbst: Auf den 45 Plantagen des Sultans Saijid Said wurden zwei Drittel der Jahresernte erzeugt. Ein Großteil der 60000 Sklaven, die um 1850 auf Sansibar lebten (Gesamteinwohner 150000), dürfte hier gearbeitet haben. Bis zu 10000 Sklaven wurden von der kleinen Schicht vorwiegend omanischer Plantagenbesitzer auf Pemba und Sansibar jährlich neu hinzugekauft, bevor der »Nelkenboom« 1860 infolge des Preisverfalls auf dem Weltmarkt einbrach und der Gewürznelkenanbau zugunsten profitablerer Ausfuhrprodukte wie Kokosnüsse und Sesamsaat an Bedeutung verlor. Die Sklavenwirtschaft wurde dadurch allerdings vorerst kaum beeinträchtigt; trotz wachsenden Drucks seitens der britischen Regierung, die Sultan Bargasch, den Sohn und Nachfolger Saijid Saids, 1876 zum endgültigen Verbot des Sklavenhandels zwang, konnte sie sich, wenn auch in abgeschwächter Form, bis zur Jahrhundertwende halten.Um 1900 hatten sich durch die europäische Kolonialexpansion die Machtverhältnisse an der Küste und im ostafrikanischen Binnenland bereits erneut gewendet. Angestoßen durch den Erwerb von Land westlich von Daressalam seitens der Gesellschaft für deutsche Kolonisation unter Carl Peters im November/Dezember 1884, wurde den Suahelistädten in der Folge der Stempel der deutschen (Tansania) beziehungsweise britischen Kolonialherrschaft (Kenia, Sansibar, Pemba, Mafia) aufgedrückt.Dr. Brigitte ReinwaldGrundlegende Informationen finden Sie unter:afrikanische Gesellschaften in der Geschichte: Aus dem Dunkel der ZeitenAllen, James de Vere: Swahili origins. Swahili culture & the Shungwaya phenomenon. London u. a. 1993.Fischer, Rudolf: Korallenstädte in Afrika. Die vorkoloniale Geschichte der Ostküste. Oberdorf (Schweiz) 1984.Sheikh-Dilthey, Helmtraut: Kenya. Kunst, Kultur und Geschichte am Eingangstor zu Innerafrika. Köln 1981.Sheriff, Abdul: Slaves, spices & ivory in Zanzibar. Integration of an East African commercial empire into the world economy, 1770-1873. London 1987.
Universal-Lexikon. 2012.